von Sarah Pohl

“Melden sich bei euch auch Aussteiger aus der Querdenkerszene?” werden wir immer mal wieder gefragt. Wir beraten bisher v. a. „sekundär Betroffenen“, (Neuberger, 2018) d.h. Angehörige, Freunde oder Arbeitskollegen von sog. Verschwörungsgläubigen. Auch in der Aussteigerberatung im Kontext sog. Sekten sind wir tätig. Bisher haben sich jedoch wenig Aussteiger aus der Querdenkerszene bei uns gemeldet. Warum ist das so? Wir haben uns auf Ursachenforschung begeben.

Zunächst begegnen uns manche  Verschwörungsgläubige skeptisch, da wir vom Kultusministerium BW gefördert und damit als staatliche Einrichtung wahrgenommen werden. (Unser wichtigster Grundsatz ist jedoch genau aufgrund dieser Förderung durch das Land die Achtung der Religions- und Meinungsfreiheit, d.h. solange keine anderen Rechte verletzt werden, positionieren wir uns weltanschaulich neutral.)

Der Aussteigerbegriff impliziert sektenartige, bzw., geschlossene Gruppenstrukturen. Die Gruppenstrukturen in der Querdenkerszene sind jedoch teils sehr lose, und die Milieus aus welchen sich diese Szene zusammensetzt sind durchmischt (Nachtwey, Frei, Schäfer, 2020). Es herrscht eine große soziale Vielfalt in der Querdenkerszene (Koos 2021; Nachtwey 2021). Zwar gibt es den „einenden Feind“ und ein „gemeinsames Ziel“ ansonsten jedoch bestehen viele ideologischen Unterschiede, wenig Alltagsverbindungen. Grande et. al. stellen fest: „Der Corona-Protest ist nicht nur sozial heterogen, er ist auch politisch schwer zu verorten. Auffällig war von Beginn an, mit den ersten „Hygiene-Demonstrationen“, dass er quer zu den üblichen politischen Gegensätzen verlief und die Ablehnung der staatlichen Corona-Maßnahmen die Extreme des politischen Spektrums zusammenzuführen schien.“ In sog. Sekten hingegen werden mehr Bereiche des alltäglichen Lebens vereinnahmt (Freizeit, Sport, Freunde, usw.) und meist gibt es auch hierarchischere Strukturen, die ideologische Gesinnung zeigt mehr Schnittfläche. Verschwörungstheoretiker kann man auch für sich alleine sein, ganz ohne Gruppe. Es ist deswegen zu differenzieren, welchen Einfluss gruppenpsychologische Aspekte auf einen sog. Verschwörungstheoretiker haben.

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Abgrenzung zwischen sog. Sekten-Aussteigern und Aussteigern aus der Querdenkerszene besteht in dem Aspekt der Autonomie. Während Aussteiger aus sog. Sekten es meist gewohnt waren, sich in einer hierarchischen Gemeinschaft unterzuordnen, verbindet Menschen aus der Querdenkerszene v.a. ein wichtiger Grundwert: Der Wunsch nach mehr Freiheit und Autonomie.

Zwar lässt sich der Glaube an Verschwörungstheorien in mancherlei Hinsicht mit einem weltanschaulich geprägten Glauben vergleichen, beispielsweise bieten beide einfache Antworten auf komplexe Fragen und leisten so einen Beitrag zur psychischen Stabilisierung mancher Menschen, da Unvorhersehbarkeit scheinbar reduziert wird (Röther, 2020). Gerade bei QAnon sind diese religionsähnlichen Bezüge deutlich, hier existiert auch eine Heilsfigur, usw. Dennoch bestehen auch deutliche Unterschiede beispielsweise hinsichtlich der normativen Verbindlichkeiten welche von Religionen gestiftet wird oder hinsichtlich moralischer Grundsätze. Der Glaube eines Verschwörungstheoretikers ist stark dieseitsbezogen, wohingegen Aussteiger aus anderen Gruppierungen einen deutlicheren Jenseitsbezug und einen metaphysischen Bezug aufweisen. Eimuth (2020) stellt fest „Was allerdings bei QAnon – bisher – noch fehlt, das sind Riten, die jede Religion zur Selbstvergewisserung braucht. Vielleicht übernehmen allerdings die Demonstrationen allmählich diese Funktion.“ Aus diesem Grund hat es eine andere Bedeutung, wenn Menschen aus der Querdenkerszene „aussteigen“. Sich aus einer anonymen Internetgruppierung zu lösen hat eine völlig andere Bedeutung, als sich von einer real existierenden Gruppierung, welche das gesamte soziale Leben prägt und beeinflusst abzukehren.

Wenn Menschen die Querdenker verlassen, geht es also nicht um einen Ausstieg im klassischen Sinne, sondern um einen schleichenden Prozess. Das mag irritieren, denn der Einstig in diese Gedankenwelt erfolgt häufig mit Pauken und Trompeten. Sich jedoch abzuwenden auch von verschwörungsnahen Überzeugungen bedeutet nicht unbedingt, die ganze Weltanschauung mit einmal zu verändern. Meinungen ändern sich meist schleichend und oft ist dies auch ein Prozess, der sich unserem Bewusstsein entzieht. Oft halten Menschen sehr lange und ausdauernd an Überzeugungen fest. Wie sagte schon Hebel: „Es gehört oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben“. In einem Fall starb die Mutter eines Coronaleugners an Corona. Dies hat paradoxerweise nicht dazu geführt, dass sich dessen Meinung änderte, sondern den Betreffenden dazu veranlasst weitere Rechtfertigungskonstruktionen zu suchen, weshalb es Corona nicht geben kann. Dieses Phänomen nennt man in der Fachsprache auch Belief Perservance, was bedeutet, wider besseres Wissen an einer Überzeugung festzuhalten. Der betreffenden Person gelang es nicht, sich von der Leugnung des Viruses abzuwenden, sonst hätte sie sich womöglich unangenehmen Schuldfragen stellen müssen. Denn je höher die Investition eines Menschen in eine Idee oder Überzeugung ist, desto besser bewertet er diese auch. Es ist also nicht so einfach, Überzeugungen zu verändern.

Was sich meist zuerst verändert ist der berüchtigte Tunnelblick. Wenn Menschen wieder andere Perspektiven zulassen können und andere Meinungen aushalten, dann ist schon viel passiert. Denn die Problematik ist ja nicht die, dass der Querdenker eine andere Meinung vertritt, sondern wie er diese Meinung vertritt (das gleiche gilt übrigens auch für die Gegenseite). Problematisch ist überdies eher fehlende Toleranz und mangelnder Respekt und Augenhöhe. Unser Ziel ist es, dass beide Parteien aufeinander zugehen und sich selbst und ihr Konfliktverhalten reflektieren, bzw. Verantwortung dafür übernehmen. In diesem Sinne versuchen wir eine Position der Mitte zu stärken und jenseits von Polarisierung ein Ort der Begegnung zu schaffen, an dem konträre Meinungen existieren dürfen. Denn beide Parteien haben ihre Berechtigung.

Die Polarisierung, welche sich im Großen abbildet, vollzieht sich auch Kleinen: Es geht derzeit nicht nur ein Riss durch die Gesellschaft, sondern Fronten verhärten sich auch in Paarbeziehungen und Familien. Deswegen kann man auch im Kleinen anfangen, um gegen diese spaltenden gesellschaftlichen Tendenzen zu wirken.

Was hilft? Empathisches Zuhören, Augenhöhe, keine Verurteilungen und Wertschätzung sind gute Strategien. Was nicht hilft: den Anderen mit den besseren Argumenten überzeugen zu wollen, dies kann den berüchtigten Backfire-Effekt zur Folge haben- hinterher glaubt das Gegenüber nur noch stärker an seine Ideologie. Menschen, die sich gehört und verstanden fühlen gelingt es oft besser, nicht krampfhaft an der eigenen Meinung festzuhalten und sich auch mal selbst zu hinterfragen. Wir regen dazu an, viele Fragen zu stellen, ohne vorschnelle Antworten zu liefern, dem Gegenüber aktiv zuzuhören und zu versuchen zu verstehen, welche Bedürfnisse, vielleicht auch Ängste hinter dem Verschwörungsglauben stehen. Nicht immer ändert der andere seine Meinung dadurch, aber er beginnt zumindest sich selbst mehr zu hinterfragen, fühlt sich abgeholt und verstanden. „Willst Du Recht haben oder glücklich sein? Beides geht leider nicht…“ soll M. Rosenberg, der Begründer der gewaltfreien Kommunikation einst gesagt haben. Leider passiert in vielen Streitigkeiten genau das Gegenteil: Es geht um´s „Recht haben“ und Überzeugen um jeden Preis ist die Devise. Und der Preis ist hoch: Wenn wir Rosenbergs Zitat folgen, steht das Lebensglück auf dem Spiel.

 

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