Lebensübergänge in der Beratung: Wenn Veränderungen herausfordern
In unserer Beratungsstelle begegnen wir oft Menschen, die sich mit Lebensübergängen schwertun. Eine Mutter sorgt sich, weil ihr jugendlicher Sohn sich plötzlich neuen Gruppen anschließt und sie das Gefühl hat, ihn nicht mehr zu erreichen. Ein Mann steht kurz vor dem Ruhestand und fragt sich, wer er ohne seine Arbeit sein wird. Eine junge Erwachsene verlässt eine enge religiöse Gemeinschaft und fühlt sich orientierungslos; sie fragt sich, wer sie ist, wenn sie nicht mehr Teil dieser Struktur ist. Lebensübergänge werfen Fragen auf, die tief in unser Selbstbild und unsere Identität eingreifen.
Übergänge sind natürliche Phasen des Lebens, doch sie können Unsicherheiten, Ängste oder Trauer mit sich bringen. Manche fühlen sich verloren, andere erleben es als Befreiung – häufig sogar beides gleichzeitig. Doch wie kann man diesen Phasen begegnen, ohne sich überwältigt zu fühlen?
Warum Lebensübergänge herausfordernd sind
Jeder Lebensübergang bringt Veränderungen mit sich und oft bedeutet das, vertraute Strukturen, Rollen und Gewissheiten hinter sich zu lassen. Gerade im Bereich von Weltanschauungen kann das besonders spürbar werden: Wenn sich der Glaube oder die spirituelle Orientierung wandelt oder hinterfragt wird, steht die eigene Identität plötzlich auf unsicherem Grund.
- Identität im Wandel: Wer bin ich ohne meine bisherige Rolle – sei es als Mitglied einer Glaubensgemeinschaft, als spiritueller Suchender oder in einer bestimmten religiösen Praxis? Der Abschied von bisherigen Glaubensmustern kann das Gefühl von innerer Heimatlosigkeit auslösen.
- Verlust und Trauer: Auch positive Veränderungen können mit Trauer verbunden sein; etwa, wenn man sich von alten Überzeugungen oder Gemeinschaften verabschiedet. Das Loslassen vertrauter Sinnquellen ist oft schmerzhaft.
- Ängste vor dem Unbekannten: Wie wird der neue Lebensabschnitt aussehen? Finden sich neue Werte, neue Orientierungspunkte? Die Unsicherheit über den eigenen Weg kann Angst machen, vor allem wenn bisherige Sicherheiten wegfallen.
Diese Fragen und Gefühle sind normal und zeigen, dass wir uns intensiv mit dem Wandel auseinandersetzen. Gerade in der Arbeit mit Menschen in weltanschaulichen Umbruchsituationen ist es wichtig, Lebensübergänge nicht nur als Verlust, sondern auch als Chance für Wachstum und neue Sinnfindung zu sehen.
Lebensübergänge bewusst gestalten
- Sich Zeit nehmen für Abschied und Trauer
Jeder Übergang beinhaltet ein Abschiednehmen. Es ist wichtig, diesen Prozess bewusst zu gestalten und sich Zeit zu nehmen, um zu reflektieren: Was lasse ich hinter mir? Was hat mir diese Phase gegeben? Welche Erfahrungen nehme ich mit?
Beispiel: Eine Klientin, die ihre Glaubensgemeinschaft verlässt, freut sich auf die neuen Freiheiten, trauert aber auch um den Verlust von Gemeinschaft und vertrauten Ritualen. Ein Abschiedsritual oder das Führen eines Dankbarkeitstagebuchs kann ihr helfen, diesen Schritt emotional zu verarbeiten.
- Die eigene Identität neu ausrichten
Gerade in Übergangsphasen lohnt es sich, die eigene Identität neu zu definieren. Statt sich ausschließlich über eine Rolle (z. B. als Mitglied einer Glaubensgemeinschaft, Elternteil oder Berufstätige) zu sehen, kann man sich fragen: Welche Werte, Fähigkeiten und Überzeugungen begleiten mich unabhängig von meiner Lebenssituation?
Beispiel: Ein Mann, der sich aus einer stark dogmatischen Gruppe gelöst hat, entdeckt seine Leidenschaft für Musik und Engagement in sozialen Projekten als neue Ausdrucksformen seiner Identität. - Unsicherheiten und Ängste anerkennen
Es ist normal, in Übergangsphasen Unsicherheiten oder Ängste zu empfinden. Diese Gefühle anzunehmen ist ein wichtiger Schritt. Man kann sich fragen: Was genau macht mir Angst? Welche Ressourcen und Stärken habe ich, um damit umzugehen?
Beispiel: Eine Frau, die sich vom festen Glaubenssystem löst, fürchtet den Verlust von Sicherheit und Gemeinschaft. Durch Beratung und den Austausch mit anderen in ähnlichen Situationen entdeckt sie neue Wege, sich innerlich zu stabilisieren. - Soziale Unterstützung suchen
Übergänge werden leichter, wenn man sie nicht allein durchläuft. Gespräche mit vertrauten Menschen, Beratenden oder Selbsthilfegruppen bieten Halt, neue Perspektiven und das Gefühl, nicht allein zu sein.
Beispiel: Ein junger Erwachsener, der Zweifel an den Lehren seiner religiösen Gemeinschaft hat, findet Unterstützung in einer Beratungsstelle und in einer Gesprächsgruppe, die sich mit ähnlichen Fragen auseinandersetzt. - Die neue Phase aktiv gestalten
Anstatt passiv abzuwarten, kann man bewusst überlegen: Was brauche ich, um mich in der neuen Lebensphase wohlzufühlen? Welche neuen Routinen oder Ziele möchte ich entwickeln?
Beispiel: Eine Frau, die aus einer strengen Glaubensgemeinschaft ausgetreten ist, beginnt, sich in kulturellen Gruppen zu engagieren und neue Hobbys zu entdecken, die ihr helfen, ihre neue Identität zu festigen.
Fazit
Lebensübergänge sind nicht immer leicht, doch sie gehören zum Menschsein dazu. Wenn wir lernen, Veränderungen als natürlichen Teil des Lebens anzunehmen und uns selbst die Zeit zu geben, die wir für Anpassung und Reflexion brauchen, können diese Phasen uns nachhaltig bereichern. Jeder Übergang bringt Abschiede mit sich, aber auch neue Möglichkeiten und die Chance, uns selbst ein Stück besser kennenzulernen. Ein gutes Bild dafür ist das Loslassen und Nehmen eines Zuges: Wir steigen aus einem vertrauten Wagen aus, nehmen das Gepäck unserer Erfahrungen mit und besteigen einen neuen Zug, der uns auf eine unbekannte, aber vielversprechende Reise mitnimmt. Diese Bereitschaft zum Aufbruch ermöglicht Wachstum, neue Perspektiven und persönliche Entwicklung. In der Beratungsarbeit unterstützen wir Menschen dabei, diesen Prozess achtsam und wertschätzend zu gestalten, denn gerade bei weltanschaulichen Umbrüchen ist es wichtig, Raum für Trauer, Neuausrichtung und Zuversicht zu schaffen.