von Caja Gröber

Die Angst ist eine treue Gefährtin – sie begleitet uns von der Geburt bis zum Tod und kann damit als „universelles menschliches Erlebensphänomen“ (Stöber & Schwarzer, 2000, S. 6 f.) bezeichnet werden. Jeder Mensch kommt auf die eine oder andere Art und Weise mit ihr in Berührung. Sei es die Angst, sich als Kind vor dem Tor des Kindergartens von der Mutter zu trennen. Sei es die Angst, in der Schule ausgelacht zu werden. Sei es die Angst, im Sommer mit einem Himbeereis in der Hand vor einer Wespe gestochen zu werden. Sei es die Angst vor Dunkelheit, Höhe, Gewitter, Clowns, Zahnärzten usw. Die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Der gemeinsame Nenner ist wohl „das bewußte Erleben eines Erregungszustandes, der als quälend und bedrückend empfunden wird“ (Stöber & Schwarzer, 2000, S. 5). Es ist daher nicht verwunderlich, dass Menschen im Allgemeinen danach streben, diesen Zustand zu überwinden oder zumindest zu reduzieren. Da es wohl eine Illusion bleibt, die Angst komplett aus unserem Leben zu verbannen, haben wir uns Methoden zurechtgelegt, um uns der Angst entgegenzustellen, d. h. es existieren die unterschiedlichsten Arten der Angstbewältigung. An dieser Stelle sind wir am Thema dieses Beitrags angelangt – Verschwörungstheorien (VST) und Angst. In gewisser Weise könnte man sagen, dass VST eine Form der Angstbewältigung darstellen. VST können z. B. dabei helfen, die Angst vor Kontrollverlust zu kompensieren, indem sie Klarheit, Ordnung und Sinn in einem System bieten, das eigentlich chaotisch ist (d. h. ein System, in dem unvorhergesehene Dinge eintreten, die nicht kontrollierbar sind). Die in dieser Darstellung suggerierte Monokausalität (Angst vor Kontrollverlust führt zur Bildung von Verschwörungstheorien.) führt allerdings zu kurz. Grundlegend gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie zwei Variablen A und B zusammenhängen können:

  • A beeinflusst B, A -> B
  • B beeinflusst A, B -> A
  • A und B beeinflussen sich gegenseitig, A <-> B
  • A und B werden von einer Drittvariablen C beeinflusst, A <- C -> B
  • A beeinflusst B, wobei B wiederum die Variable C beeinflusst, A -> B -> C
  • der Zusammenhang zwischen A und B ist in dieser Stichprobe rein zufällig (Leonhart, 2017, S. 11)

Es lässt sich grob unterscheiden zwischen Korrelation und Kausalität, wobei Korrelation nicht mit Kausalität verwechselt werden darf. Die Gemeinsamkeit beider Konzepte ist das Vorliegen eines Zusammenhangs. Allerdings ist die Korrelation eine Interaktion, d. h. eine Wechselbeziehung zwischen zwei Variablen (oben als Doppelpfeil dargestellt), Kausalität liegt dagegen vor, wenn ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang vorliegt (oben als einfacher Pfeil dargestellt). Ein lesenswerter Blogbeitrag zum diesem Thema ist unten verlinkt (Kufs, 2015).

In unserem konkreten Fall könnte man sich also überlegen, ob neben der Hypothese Angst führt zu VST (A ->B) auch die Umkehrung, d. h. VST führen zu Angst (B -> A), oder vielleicht eine Wechselwirkung, d. h. Angst und VST beeinflussen sich gegenseitig (A <-> B) betrachtet werden sollte. Diese Überlegungen sollen dazu führen, den Blick zu weiten und die Variablen VST und Angst im Sinne eines allgemeinen Interaktionsgeschehens, nicht ausschließlich im Sinne eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs zu betrachten.

An dieser Stelle sei auf ein Beispiel aus der empirischen Forschung verwiesen. Grzesiak-Feldman (2013) beschreibt in ihrer Arbeit drei Studien im Zusammenhang mit Angst und VST; auf Studie 2 und 3 wollen wir im Folgenden etwas genauer eingehen (Studie 3 stellt dabei eine Replikation von Studie 2 dar). Die Autorin untersuchte, ob eine angstbesetzte Situation zu einer Verstärkung des Verschwörungsdenkens führen würde. Als angstbesetzte Situation wurde die Situation vor einer Prüfung verwendet, da davon ausgegangen werden kann, dass das Warten auf eine Prüfung bei Studierenden einen Zustand erhöhter Angst induziert. In diesem Zustand wurde die Zustimmung hinsichtlich verschiedener VST erfasst. Die Ergebnisse weisen tatsächlich auf eine erhöhte Zustimmung zu VST in der angstbesetzten Situation direkt vor einer Prüfung hin, insbesondere bei VST in Bezug auf Juden. Dieser Befund wäre ein Beispiel für die Annahme Angst führt zu VST (A ->B). Ein verstärkter Glaube an VST könnte natürlich aber auch dazu führen, dass Angst geschürt wird, sodass ein Teufelskreis aus Angst und VST entsteht.

Wirft man einen Blick auf die wissenschaftliche Literatur, trifft man auf eine relativ frühe Arbeit von Goertzel (1994). Die Daten der Umfrage bestätigen, dass VST in der amerikanischen Gesellschaft weit verbreitet sind. Den Befragten wurde eine Liste von verschiedenen Verschwörungen vorgelegt, die sie auf einer vierstufigen Likert-Skala hinsichtlich des Wahrheitsgehalts einschätzen sollten (definitiv wahr, wahrscheinlich wahr, wahrscheinlich falsch, definitiv falsch). Die meisten Befragten beurteilten die Verschwörungen als wahrscheinlich wahr oder definitiv wahr. Die Tendenz, an Verschwörungen zu glauben, korreliert mit Anomie, mangelndem Vertrauen in andere Menschen und Gefühlen der Unsicherheit bezüglich der Arbeitslosigkeit. Anomie bezeichnet nach Bartoschek (2019) einen „Zustand der Vereinsamung, der Isoliertheit, innerer Orientierungslosigkeit, der Macht- und Hilflosigkeit“ (S. 27). Einen Zusammenhang mit Anomie finden auch Abalakina‐Paap et al. (1999). Die Autorenschaft untersuchte die Beziehung zwischen elf Variablen, in denen sich Menschen in ihrer individuellen Ausprägung unterscheiden, und zwei Maßen des Glaubens an VST (Glaube an spezifische Verschwörungen und Einstellung gegenüber der Existenz von Verschwörungen). Die Ergebnisse zeigen, dass eine hohe Ausprägung in den Variablen Anomie, Autoritarismus und niedriges Selbstwertgefühl mit dem ersten Maß (Glaube an spezifische Verschwörungen), eine hohe Ausprägung in den Variablen externe Kontrollüberzeugung, Feindseligkeit und niedriges Maß an Vertrauen mit dem zweiten Maß (Einstellung gegenüber der Existenz von Verschwörungen) zusammenhängen. Neben der Anomie, die in Verbindung mit einer diffusen Angst steht (Bartoschek, 2019), fällt ein weiterer Aspekt ins Auge: Vertrauen bzw. eher ein Mangel desselben scheint ebenfalls eine Rolle im Kontext von VST zu spielen. Darüber wird allerdings in einem späteren Abschnitt zu sprechen sein.

Bis jetzt haben wir uns in einem nicht-pathologischen Bereich bewegt, d. h. es ging um Menschen, die keine psychische Störung haben. Vielleicht haben Sie aber auch schon Menschen in mehr oder weniger abgewandelter Form sagen hören: „Verschwörungstheoretiker sind doch alle paranoid.“ Ist da was dran? Die Studie von Darwin et al. (2011) liefert Hinweise darauf, dass Verschwörungsdenken signifikant positiv sowohl mit paranoidem Denken als auch Schizotypie korreliert. Bartoschek (2019) versteht unter Schizotypie, „stark vereinfacht gesprochen, so etwas wie eine Schizophrenie, nur eben in einem deutlich geringeren Ausmaß“ (S. 28). Hier ist Vorsicht bei der Interpretation geboten. Da es sich um eine korrelative Studie handelt, können keine Aussagen über die Kausalität des Zusammenhangs getroffen werden. Eine sehr interessante und lesenswerte Arbeit zu diesem Thema wurde von Imhoff und Lamberty (2018) verfasst. Sie betrachteten eine Metaanalyse und zwei korrelative Studien, um der Antwort auf die Frage näherzukommen, wie paranoid sog. Verschwörungstheoretiker sind. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass VST und Paranoia miteinander korrelieren, aber als unterschiedliche Konstrukte betrachtet werden sollten. Laut Imhoff und Lamberty (2018) spiegeln VST eine politische Einstellung wider, während Paranoia eine selbstrelevante Überzeugung darstellt. Einige Stellen, die ich für zentral halte, und die – wie ich finde – äußerst treffend formuliert sind, sollen im Folgenden zitiert werden:

De-pathologizing conspiracy beliefs by understanding them as a political attitude rather than a delusional ideation does not – of course – imply veracity of any, let alone all, kinds of conspiracy theories. At the same time, it implies leaving the convenient position of labeling any kind of assertion untrue as soon as it implies a conspiracy (S. 923).

[…] a highly complex society with a fine-grained division of labor often requires a basis of societal trust: trust that scientists provide unbiased evidence in the absence of conflicts of interest, trust that the newspapers report events as they happened without selecting or suppressing certain information, trust that if one votes for a political party, this party will keep its electoral promises once elected. Conspiracy believers have cancelled this social contract of trust. This does not necessarily mean that they are crazy, paranoid, or cognitively challenged, but merely more disillusioned, more suspicious, and potentially less naïve about society (S. 923).

Conspiracy beliefs and paranoia share antecedents, consequences and (empirically speaking) variance. A closer look, however, allows the identification of clearly distinct phenomena. Whereas in the worldview of the paranoid everybody is after them, through the eyes of the conspiracist, a few powerful people are after everybody (S. 923).

Die Autorenschaft spricht sich also dafür aus, Verschwörungsdenken nicht in denselben Topf mit krankheitswertiger Paranoia zu werfen und sie als getrennte Konstrukte zu betrachten. Im zweiten Zitat steckt außerdem eine interessante Überlegung in Bezug auf das Thema Vertrauen, das vorher bereits angesprochen wurde. Der Mangel an Vertrauen in das Gesellschaftssystem sollte nicht als Zeichen von Paranoia fehlinterpretiert werden, sondern gewissermaßen auch als Portion gesunde Skepsis. Es hat auch etwas Positives, kritisch zu sein.

Zum Abschluss soll ein Bogen zum Anfang gespannt werden. Jeder hat Ängste und Sorgen. Menschen unterscheiden sich lediglich in der konkreten Ausgestaltung dieser Erlebensphänomene und den spezifischen Bewältigungsformen. Dies kann auch als Chance begriffen werden und in der Kommunikation zwischen sog. Verschwörungstheoretikern und deren Angehörige als Ansatzpunkt für Gespräche dienen. Konkret auf das Beispiel Impfung im Kontext von Corona bezogen, bedeutet das etwa: Während der sog. Verschwörungstheoretiker Angst vor dem Verlust der Kontrolle oder (Entscheidungs-)Freiheit hat und sich nicht impfen lassen möchte, hat der/die Angehörige möglicherweise Angst vor der Erkrankung und möglichen Spätfolgen. Auch wenn die eine Partei die Argumente der jeweils anderen Partei nicht verstehen mag – das zugrundeliegende Gefühl ist dasselbe.

Literatur

  • Abalakina‐Paap, M., Stephan, W. G., Craig, T., & Gregory, W. L. (1999). Beliefs in Conspiracies. Political Psychology, 20(3), 637–647. https://doi.org/10.1111/0162-895X.00160
  • Bartoschek, S. (2019). Angst und Verschwörungstheorien. In A. Beniermann & M. C. Bauer (Hrsg.), Nerven kitzeln: Wie Angst unsere Gedanken, Einstellungen und Entscheidungen prägt (S. 25–33). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-59549-7_2
  • Darwin, H., Neave, N., & Holmes, J. (2011). Belief in conspiracy theories. The role of paranormal belief, paranoid ideation and schizotypy. Personality and Individual Differences, 50(8), 1289–1293. https://doi.org/10.1016/j.paid.2011.02.027
  • Goertzel, T. (1994). Belief in Conspiracy Theories. Political Psychology, 15(4), 731–742. https://doi.org/10.2307/3791630
  • Grzesiak-Feldman, M. (2013). The Effect of High-Anxiety Situations on Conspiracy Thinking. Current Psychology, 32(1), 100–118. https://doi.org/10.1007/s12144-013-9165-6
  • Imhoff, R., & Lamberty, P. (2018). How paranoid are conspiracy believers? Toward a more fine-grained understanding of the connect and disconnect between paranoia and belief in conspiracy theories. European Journal of Social Psychology, 48(7), 909–926. https://doi.org/10.1002/ejsp.2494
  • Kufs, C. (2015, Januar 1). How to Tell if Correlation Implies Causation. Stats With Cats Blog. https://statswithcats.net/2015/01/01/how-to-tell-if-correlation-implies-causation/
  • Leonhart, R. (2017). Lehrbuch Statistik: Einstieg und Vertiefung (4. Aufl.). Hogrefe.
  • Stöber, J., & Schwarzer, R. (2000). Angst. In J. H. Otto, H. A. Euler, & H. Mandl (Hrsg.), Emotionspsychologie: Ein Handbuch (S. 189–198). Beltz/PVU. https://kar.kent.ac.uk/33612/