von Isabella Dichtel
Die Pandemie und ihre Auswirkungen bestimmen viele Bereiche in unserem Alltag. Wie wir zu der ganzen Sache stehen, wirkt sich auch auf unsere sozialen Kontakte aus. Nicht selten gehen wir Menschen mit einer völlig anderen Haltung privat eher aus dem Weg.
Diese Strategie funktioniert am Arbeitsplatz jedoch nicht. Hier müssen wir uns mit unterschiedlichen Meinungen und Bedürfnissen arrangieren, gerade in Zeiten von Corona. Konflikte sind daher eher die Regel als die Ausnahme. Nicht selten eskalieren sie.
Die damit verbundene Ratlosigkeit schlägt sich bei unseren Anfragen nieder. Da ruft ein verunsicherter Angestellter an, dessen Vorgesetzte sich nicht an die vorgegebenen Maßnahmen hält. Und der nicht mehr weiß, wie er sich schützen kann. Oder eine Teamleiterin, die die stark polarisierenden Internetauftritte eines neuen Mitarbeiters entdeckt hat und sich fragt, ob und wie die Firma das mittragen kann. Doch wo setzt man da an? Um einen konstruktiven Lösungsansatz zu entwickeln, benötigt es inmitten der aufgeheizten Grundsatzdiskussionen einen gesunden Pragmatismus. Es macht Sinn, zu unterscheiden, ob es um die Weltanschauung an und für sich oder um konkrete Handlungen geht.
Was die Haltung zu Corona betrifft, gilt bei uns die in der Verfassung verankerte Meinungsfreiheit. Damit kann Jede/r glauben und denken, was er oder sie mag. Auch wenn einem diese Meinung ganz gehörig gegen den Strich geht. Denn die persönliche Meinung ist, ebenso wie die Ausübung von Religion, zunächst Privatsache. Sobald diese Meinung jedoch Auswirkungen auf das Verhalten im Arbeitskontext hat, hört die Privatangelegenheit auf. Wenn Bedürfnisse der Kolleg*innen oder Arbeitsschutzmaßnahmen ignoriert werden, wird das betriebliche Interesse berührt. Das gilt insbesondere für Arbeitsbereiche, in denen die proklamierte Meinung dem betrieblichen Interesse entgegensteht, wie derzeit besonders in medizinischen Arbeitsfeldern. In solchen Fällen gibt es –zumindest bei den meisten größeren Unternehmen– klare Leitfäden, wie damit umzugehen ist.
Auch wenn es überrascht: nicht alle Arbeitgeber und Vorgesetzte scheinen sich der Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitenden bewusst zu sein bzw. sie bisher ernst genommen zu haben. In dem Fall wäre ein guter erster Schritt, die vorgegebenen Arbeitsschutzmaßnahmen konkret auszuarbeiten und deren Umsetzbarkeit mit den Mitarbeitenden zu besprechen bzw. deren Feedback einzuholen. Da jede/r Mitarbeitende unterschiedliche Bedürfnisse hat, macht es auch Sinn, zu erfragen, wer in dieser Zeit besondere Rücksichtnahme benötigt.
Mit diesen Maßnahmen kann vermieden werden, dass Mitarbeitende das ihnen zustehende Zurückbehaltungsrecht in Anspruch nehmen, wenn die Fürsorgepflicht wiederholt und eklatant verletzt wird.
Zudem empfiehlt es sich -wie bei allen Arbeitsplatzkonflikten– zunächst das Gespräch mit der betreffenden Person zu suchen, bevor man die juristische Keule schwingt. Auch hier sollte man den Fokus auf die Handlungsebene begrenzen und sich in keine Grundsatzdiskussionen verwickeln. Im Rahmen der Personalverantwortung geht es schließlich nicht darum, die Meinung der Mitarbeitenden der eigenen anzupassen, sondern dafür zu sorgen, dass alle gut miteinander arbeiten können.
Sollten Sie dennoch mit dem Gedanken einer „Missionierung“ spielen, möchten wir gerne anmerken, dass Sie davon ausgehen können, dass sich die betreffende Person ihrer Meinung ebenso sicher ist, wie Sie es wahrscheinlich sind. Auch können Sie erfahrungsgemäß unzählige Quellen und Statistiken zur Untermauerung Ihrer Meinung herbeiziehen, der oder die Andere wird Ihnen da vermutlich nichts schuldig bleiben. Heutzutage lässt sich schließlich für jede Meinung Belege finden. Oder um es mit Benjamin Franklin zu sagen: „Es ist so praktisch, ein rationales Wesen zu sein, da es uns befähigt, für alles, was man zu tun gedenkt, einen Grund zu finden.“ (Zit. n. Schneider, R. (2021)