Verschwörungstheorien – zwischen Einfachheit und Komplexität
Von Caja Gröber
Wodurch zeichnen sich Verschwörungstheorien(VST) aus? Einige Beispiele sollen im Folgen-den gegeben werden. Eines der wichtigsten Erkennungsmerkmale stellt das Schwarz-Weiß-Denken dar. Die Welt wird also eingeteilt in Gut und Böse. Auf der Suche nach „den Bösen“ werden Sündenböcke gekürt, auf die mit Fingern gezeigt wird: „Die sind schuld!“. Glücklicher-weise ist die Identifikation der angeblich Schuldigen ein Leichtes, denn man müsse nur eine Antwort auf die Frage „Cui bono?“ (dt. „Wem zu Vorteil?“) finden –wem ein Ereignis nützt, der sei auch daran schuld. Nachdem nun diese Frage geklärt ist, sind die wichtigsten Zutaten für eine VST vorhanden. Damit können die ungewöhnlichen Ereignisse auf möglichst einfache Art und Weise erklärt werden, was die Komplexität der sozialen Wirklichkeit enorm reduziert. In diesem Beitrag soll es um die Frage gehen, welche Rolle Komplexität bzw. das Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion im Kontext von VST spielt.
Gehen wir etwa ein Jahrhundert in der Zeit zurück und schauen auf die Gestaltpsychologie–eine Forschungsrichtung innerhalb der Psychologie, welche die menschliche Wahrnehmung zu ihrem Untersuchungsgegenstand machte. Innerhalb der Gestaltpsychologie wird Wahrnehmung als ganzheitlicher Prozess konzeptualisiert. „Objekte werden nicht nur so wahrgenommen wie sie sind, also mit ihrer Form, ihrer Farbe, ihrer Lage im Raum, sondern zugleich und an erster Stelle als das, was sie sind, also mit ihrer Bedeutung und Identität.“ (Kiesel & Spada, 2018, S.25). Wenn z.B. auf einen Tisch gezeigt und gefragt wird, was das sei, wird wohl selten –wenn überhaupt –eine Beschreibung der verschiedenen Helligkeitswerte, geometrischen Formen und Farbspektren erfolgen. Die allergrößte Mehrheit würde wohl antworten: „Das ist ein Tisch.“ Somit sind nicht die einzelnen Reize wichtig, sondern die Gesamtkonfiguration. Das zentrale Motto der Gestaltpsychologie ist damit der bekannte Satz aus der Antike „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ bzw. treffender „Das Ganze ist etwas anderes als die Summe seiner Teile.“ Zur Beantwortung der Frage, wie einzelne Elemente zu einer Gestalt gruppiert werden, wurden sog. Gestaltprinzipien formuliert (Kiesel & Koch, 2018). Hier (https://nextjuggernaut.com/wp-content/uploads/2016/11/Gestalt-Princip-les.png) sehen Sie eine Übersicht einiger Gestaltprinzipien.
Ein weiteres Gestaltprinzipist das Prinzip der Vertrautheit. Es besagt, dass die Elemente, welche als Gruppe vertraut und bedeutungshaltig sind, zusammengefasst werden. Für die Wahrnehmung von Gesichtern genügt uns daher oft eine einfache Reizkonfiguration von Elementen, die Gesichtsmerkmalen ähneln. Dies führt im Alltag oft zu Belustigungen. Zu beispielhaftem Bildmaterial kommen Sie hier (https://archzine.net und https://sproutchlag-renouille.mondoblog.org/files/2018/01/best31.jpg und https://www.letribunaldunet.fr/wp-content/uploads/2018/12/mini-pareidolie.jpg).
Wenn wir nun annehmen, dass sich in VST unsere Fähigkeit zur Mustererkennung widerspiegelt, werden wir vor einige Fragen gestellt. Stellen VST tatsächlich die einfachsten Erklärungen für komplexe Sachverhalte dar? Wirkt sich die Einfachheit einer Erklärung tatsächlich positiv auf unsere psychische Gesundheit aus? Und wenn ja –warum gibt es denn dann überhaupt Menschen, die nicht an VST glauben?
Bevor wir nun fortfahren, möchte ich das Beispiel von (Raab et al., 2017, S.91f.) anführen, das den meisten Menschen auf die eine oder andere Weise bekannt vorkommen wird:
Die Einsicht, dass der Weihnachtsmann tatsächlich das Resultat einer perfiden Verschwörung der Erwachsenen ist, mag in Ihrer Kindheit ein Schock für Sie gewesen sein. Vielleicht aber haben Sie das Gefühl auch genossen, dahinter gestiegen zu sein. Ihre neue Erklärung für die rätselhaften Vorgänge am Weihnachtsabend mag so einiges auf einfachere Weise erklären, das zuvor Ihre Fantasie stark beanspruchte („Wie kommt der Weihnachtsmann nur an unser Geschenkpapier und woher weiß er, was ich mir gewünscht habe?“). Aber Ihre neue Erklärung reduziert deren Komplexität nur teilweise, denn weshalb sollten die Erwachsenen solch einen großen Aufwand betreiben, Sie in die Irre zu führen? Die Zweifel an scheinbar übersinnlichen Wesen und Kräften, die dem widersprechen, was wir als Kind über die Welt lernen, mögen wir losgeworden sein. Doch nun rüttelt ein Vertrauensbruch am Elternbild und vielleicht ist es in mancher Hinsicht weniger komplex, von einer Parallelwelt mit durch Schornsteine rutschenden Weihnachtsmännern auszugehen als von einem Verrat der eigenen Eltern, von ihren Vorbereitungen der Täuschung im Geheimen. Es entsteht ein neues Rätsel, das Sie bis heute umtreiben sollte: Weshalb fährt eine Kultur solch schwer nachvollziehbare Manöver und gar eine gigantische Konsummaschinerie auf?
Je mehr zusätzliche Hilfstheorien wahr sein müssen, damit diese Theorie wahr ist, desto unwahrscheinlicher ist die Wahrheit dieser Theorie dann, wenn es noch keinen guten Grund zur Akzeptanz der zusätzlichen Theorien gibt (wenn sie also vor allem noch nicht empirisch bewährt sind).
Literatur
- Kiesel, A., & Koch, I. (2018). Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. In A. Kiesel & H. Spada (Hrsg.), Lehrbuch Allgemeine Psychologie(4. Aufl., S. 35–120). Hogrefe
- Kiesel, A., & Spada, H. (2018). Einführung. In A. Kiesel & H. Spada (Hrsg.), Lehrbuch Allgemeine Psychologie (4. Aufl., S. 17–34). Hogrefe
- Körner, P. (2017). Zur Beurteilung von Verschwörungstheorien. https://www.mythos-maga-zin.de/ideologieforschung/pk_verschwoerungstheorien.pdf
- Raab, M., Carbon, C.-C., & Muth, C. (2017). Die Magie der Komplexität. In M. Raab, C.-C. Car-bon, & C. Muth (Hrsg.), Am Anfang war die Verschwörungstheorie(S. 91–106). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53883-8_5