In diesem Text stellt eine anonyme Betroffene vor, was ihr selbst nach dem Ausstieg aus einer Gruppe geholfen hat. Sie finden diesen Text auch in unserer neusten Veröffentlichung (Pohl/Wiedemann (2023). Zwischen den Welten. Filterblasenkinder verstehen und unterstützen. V&R Verlag: Göttingen.)

Wertschätzung, Wertschätzung , Wertschätzung

Viele Jugendliche, die in extremistischen Glaubensgemeinschaften aufwachsen, erfahren sehr wenig Liebe und Wertschätzung der eigenen Person, ihrer Fähigkeiten und Eigenschaften. Ihre Stärken werden ihnen abgesprochen und ihre Bedürfnisse relativiert.

Schützen

Vor der Sekte, vor übergriffigen Klassenkameraden, vor dem Elternhaus. Einen sicheren Ort erschaffen und die Person außer Gefahr bringen.

Selbstschutz

Wie soll man lernen für sich einzustehen, wenn man immer unterdrückt wurde? In Sekten hat man keine Identität, man darf keine Person sein, sondern muss sich selbst aufgeben. Auf seine innere Stimme zu hören und seine Grenzen wahrnehmen zu können, sind Dinge, die eine betroffene Person nie gelernt hat. Sie muss es mühsam nachlernen. Sie hat vielleicht noch nie zuvor erlebt, dass sich jemand für sie eingesetzt hat und ihr Recht gegeben hat.

Vertrauen

Ehrlich kommunizieren über die eigenen Grenzen. Sagen, wenn man Verantwortung abgeben möchte oder sich Unterstützung holt, weil die betroffene Person beispielsweise selbstverletzend ist oder in akuter Gefahr schwebt durch ihre Eltern.

Rechtzeitig Hilfe holen

Nicht nachfragen, wenn man die Antworten nicht ertragen kann. Sich seiner Grenzen bewusst sein. Viele der Jugendlichen sind traumatisiert, haben psychische und physische Gewalt erlebt und sind absolut verzweifelt.  Gewalt wird leider oft relativiert und oder bagatellisiert.  Ob aus Überforderung oder aus Unwissenheit. Das ist retraumatisierend und fügt den Betroffenen immer neuen Schmerz zu. Dann lieber Hilfe holen und sich zurückziehen.

Sich der Spitze des Eisbergs bewusst sein

Sich der Verschleierungstaktiken von Sekten bewusst sein. Fundamentalistische Freikirchen verwenden sehr viel Energie darauf, den Schein nach außen zu wahren und sorgen mit aller Gewalt dafür, dass ihre Mitglieder funktionieren. Deswegen ist oft nur sehr wenig über die physische und psychische Gewalt innerhalb der Gemeinde bekannt.  Betroffene aus Unwissenheit in Frage zu stellen oder zu relativieren, was ihnen passiert ist, hilft niemandem.

Keine falschen Versprechungen machen

Es wird besser, aber es ist danach noch nicht gut. Oft bedeutet es für Betroffene, dass sich das Leben auf einen Schlag radikal verändert, ihre Familie sie verstößt und sie ihren Wohnort und ihre Schule wechseln müssen. Lehrkräfte können auch nicht einschätzen, wie es für die betroffene Person weiter geht. „Sätze wie: „jetzt reden wir mal mit deinen Eltern und dann vertragt ihr euch schon wieder“, können komplett daneben sein, vor allem wenn physischer Missbrauch im Spiel ist. Dieser passiert leider systematisch in evangelikalen Sekten und ist absolut ernst zu nehmen.

Kritisches Denken anregen

Ein fundamentalistisches Glaubenssystem unterdrückt eigenständiges Denken. Zu erkennen, dass man belogen und klein gehalten wurde ist verdammt schmerzhaft und anstrengend. Geduldig zuhören und zum Reflektieren anregen können Wunderwaffen gegen schwarz-weißes Denken sein.

Sagen, dass du okay bist

Die Welt steht Kopf man stellt alles in Frage, sich selbst, seine Werte und alles, was man zu wissen geglaubt hat. Es ist okay, mehr Fragen als Antworten zu haben. Aussteigende sind zu tiefst verunsichert und brauchen manchmal eine warme Umarmung und ein wenig Sicherheit.