Die vom Kultusministerium Baden-Württemberg geförderte Beratungsstelle ZEBRA/BW besteht nun seit knapp vier Jahren. Wie bereits in den Vorjahren werten wir auch in diesem Jahr unsere Tätigkeit in einem Jahresbericht aus. Der Berichtzeitraum bezieht sich auf das Jahr 2023. Den vollständigen Jahresbericht finden Sie auf unserer Homepage oder können ihn als PDF bei uns anfordern.

Während unsere ersten Jahre pandemiebedingt geprägt waren durch Anfragen von Menschen, die Verschwörungsgläubige in ihrem Umfeld hatten, veränderte sich 2023 die Anfragestruktur drastisch. 2021 kontaktierten uns noch 50% von den über 600 jährlichen Erstanfragen zum Thema Verschwörungstheorien. Wir sind und waren die einzige landesgeförderte Anlaufstelle zu dieser, während Zeiten der Pandemie, plötzlich eklatanten Thematik. Schon 2022 bemerkten wir einen Rückgang und eine deutliche Entspannung der Konflikte im Kontext Verschwörungstheorien. Nurmehr 35% aller Ratsuchenden kontaktierte uns aufgrund von Konflikten rund um Verschwörungstheorien. Wir vermuten, dass dieser Rückgang an den gelockerten Corona-Bestimmungen liegt. 2023 kontaktierten uns nur noch 18% zum Themenfeld der Verschwörungstheorien. Allerdings handelt es sich in diesen Fällen meist um deutlich radikalisierte Personen mit stark familiär eskalierten Konfliktlagen.

 

Überraschenderweise nahm jedoch die Fallanzahl der Erstkontakte im Vergleich zum Vorjahr noch zu. Das liegt unter anderem daran, dass uns sehr viel mehr Menschen zum Themenfeld „Esoterik“ kontaktierten, nämlich 25%. Mittlerweile ist es wieder problemlos möglich, an Gruppenaktivitäten teilzunehmen, was während der Pandemie vielen Menschen versagt blieb. Zudem sehen wir, dass gerade solche AnbieterInnen Konjunktur haben, die Sinn, medizinische Lösungen und Entlastung in psychischen Krisensituationen oder Lebenskrisen versprechen. Die Motivationslage der Menschen auf dem Esoterikmarkt, Halt, Orientierung und Lebenssinn zu entdecken, ist breit gefächert. Ebenso breit gefächert ist die Zahl der Angebote und AnbieterInnen. Wir wurden 2023 zu zahlreichen neuen Angeboten und AnbieterInnen gefragt. Viele Menschen wünschen sich von uns einen „Seriositätscheck“, wollen beispielsweise wissen, ob das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt, oder ob der/die AnbieterIn bereits negativ aufgefallen ist. Noch häufiger jedoch wenden sich Menschen an uns, die bereits entweder Angehörige haben, die an manipulative AnbieterInnen geraten sind, oder selbst viel Geld für esoterische Angebote ausgegeben haben. Womöglich spiegeln sich auch die politisch und wirtschaftlich unruhigen Zeiten in der verstärkten Hinwendung zu esoterischen Angeboten.

Ein weiteres nach wie vor prominentes Themenfeld betrifft den Coachingmarkt. Der Begriff des Coaches ist nicht geschützt und jeder darf sich so nennen. Wir versuchen hier einerseits mittels Flyermaterial  aufzuklären und andererseits helfen wir Geschädigten, sich aus Abhängigkeitsbeziehungen zu lösen und ihre Erfahrungen einzuordnen.

Besonders beschäftigt hat uns im Vergleich zu den Vorjahren auch das Themengebiet der evangelikalen Kirchen. Hier kontaktierten uns einige AussteigerInnen, die auf der Suche nach Antworten waren. Möglicherweise hängt diese Entwicklung auch mit einigen kritischen Podcasts zusammen (z.B. Toxic Church).

Neben unserer Beratungstätigkeit knüpften wir 2023 zahlreiche Kooperationskontakte (185), hielten 39 Vorträge und Workshops, wobei wir mehr als 1200 Menschen erreichten, hatten eine breite Resonanz in der Presse, schrieben auch selbst einige Artikel und veröffentlichten im September das Buch: Zwischen den Welten. In diesem Buch werfen wir einen Blick auf die besondere Situation von Kindern, die in weltanschaulichen Filterblasen aufwachsen.

Für unseren hauseigenen Podcast produzierten wir 14 neue Folgen.

Wir setzten uns mit Zielgruppenerreichung auseinander und übersetzten unsere Seite in „leichte Sprache“, wir lobten einen Schreibwettbewerb aus, wir erarbeiteten Therapiematerial und gaben MultiplikatorInnenschulungen. Für 2024 freuen wir uns, ab Ende Februar eine Gesprächsgruppe für Angehörige radikalisierter Menschen anbieten zu können, die von Demokratie Leben finanziert wird.

Für das kommende Jahr zeichnete sich bereits Ende 2023 eine Zunahme von Anfragen aus der Jugendhilfe ab. Immer häufiger führt die weltanschauliche Gesinnung der Eltern offenbar zu Problemen in Familien oder Jugendliche selbst radikalisieren sich. Außerdem beschäftigen uns nach wie vor die sog. „radikalisierten SeniorInnen“ – wir stellen fest, dass uns viele Angehörige v.a. wegen ihrer älteren Eltern kontaktieren, die sich entweder in der Reichsbürgerszene, im Sumpf der braunen Esoterik oder in Verschwörungsideologien verstrickt haben. Wir sehen hier einen dringenden Bedarf an Präventionsarbeit, Forschung und neuen Konzeptentwicklungen zur Erreichung dieser Zielgruppe.

Abschließend sind wir sehr dankbar, dass das Land Baden-Württemberg diese wertvolle und essentielle Arbeit ermöglich. Wie wichtig es ist, solche breit angelegten Strukturen bereits zu schaffen, bevor eine Krisensituation eintritt, zeigt sich während der Pandemiejahre in besonderem Maße. Denn während dieser Zeit konnten wir sehr flexibel auf den plötzlich immens steigenden Bedarf zu Beratung im Spannungsfeld Verschwörungstheorien reagieren. Diese vorausschauende breite thematische Verortung verdanken wir v.a. der für uns zuständigen Stabstelle für Religionsangelegenheiten/ Staatskirchenrecht am Kultusministerium.