Wie wird der Krieg gedeutet und auf welche Seite stellen sich Verschwörungstheoretiker:innen?
Seitdem Russland die Ukraine angegriffen hat, ist dieses das vorherrschende Thema in den Nachrichten und die Pandemie scheint in den Hintergrund gerückt zu sein. Auch in unserer Beratungsstelle verzeichnen wir seit Kriegsbeginn weniger Anrufer:innen bezüglich Verschwörungstheorien und Corona-Diskussionen und fragen uns, ob diese Themen nun langsam verschwinden oder ob sie sich nur verlagern.
Ein Blick in die Berichterstattung über den Ukraine-Krieg zeigt: viele deutsche Medien berichten pro-ukrainisch und verurteilen den Angriff Russlands sehr scharf. Auf der anderen Seite entstehen jedoch auch neue Verschwörungstheorien, die teils gut an die Verschwörungstheorien der Corona-Leugner:innen anschließen. So wird dem Narrativ Putins gefolgt, dass die Ukraine „entnazifiziert“ werden müsse und es verbreitet sich die Hoffnung, dass Putin der Erlöser der Menschen vor den „westlichen Eliten“ sei. Diese Theorien werden nun oftmals in genau den Telegram-Gruppen geteilt, in denen vor wenigen Wochen noch Verschwörungstheorien bezüglich Covid-19 verbreitet wurden.
Doch woher kommt diese Nähe der Corona-Leugner:innen mit der pro-russischen Seite? Schon länger nutzt die Querdenker-Szene die deutsche Version des russischen Staatssenders RT (Russia Today), um sich eine alternative Berichterstattung zu den deutschen „Mainstream-Medien“ einzuholen. RT deutsch behauptet von sich selber, Nachrichten zu liefern, die in der westlichen Welt bewusst nicht genannt werden und bedient damit genau den Wunsch vieler Verschwörungstheoretiker:innen, die den großen deutschen Nachrichtensendern nicht mehr trauen. Somit lassen sich schon länger russische Sympathien in der Querdenker-Szene vernehmen, die sich in der aktuellen Situation nun besonders stark zeigen. In vielen Telegram-Gruppen werden Infos geteilt, die die russische Bevölkerung in die Opferrolle bringen und den Angriff Russlands rechtfertigen.
RT deutsch ist schon letztes Jahr im September auf YouTube gesperrt worden und die Ausstrahlung wurde Anfang des Jahres aufgrund fehlender Lizenz komplett in Deutschland verboten. Daraufhin sperrte auch Telegram Anfang März den Kanal, was viele Menschen als große Zensur der Meinungs- und Pressefreiheit sahen.
Trotz der Sperrung des russischen Nachrichtensenders nehmen die Verschwörungstheorien bezüglich des Ukraine-Kriegs jedoch nicht ab, sondern werden unter Verschwörungsgläubigen eher verstärkt geteilt. Allerdings ist sich die Szene nicht ganz einig, wie der Krieg genau in ihre Erzählungen eingebettet werden soll. Auf der einen Seite sei der Krieg gerade das perfekte Ablenkungsmanöver, um von den vielen Impfschäden abzulenken, auf der anderen Seite brauche die westliche Elite nun ein neues Thema, um den „great reset“ vorzubereiten, nachdem Corona nun langsam ausgedient habe. Gleichzeitig gibt es auch noch vereinzelte Stimmen – besonders aus dem extrem rechten Spektrum – die in dem Angriff die Souveränität eines Nationalstaats gefährdet sehen und sich deshalb auf die Seite der Ukraine stellen. Dies verdeutlicht, dass die ehemaligen Interessen aus der Pandemie-Zeit nun nicht eins zu eins auf die neue Situation übertragen werden können.
Die Heterogenität der Querdenker-Szene spiegelt sich in diesen diffusen Bemühungen einer Deutung der weltpolitischen Geschehnisse. Nichtsdestotrotz gibt der Krieg gerade den sog. Systemverschwörungstheoretiker:innen wieder neuen Auftrieb und die inhaltlichen Auseinandersetzungen und Diskussionen gehen in eine weitere Runde. Außerdem könnten laut Einschätzung des Leipziger Politikwissenschaftlers Johannes Kiess auch die sozialen Folgen des Kriegs, wie ein Anstieg der Anzahl von Geflüchteten und steigende Energiekosten, zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft führen.
Die Beratungsstelle ZEBRA/BW möchte auch in dieser neuen Situation Menschen dabei unterstützen, mit Andersdenkenden im näheren Umfeld einen konstruktiven Umgang zu finden.
Abschließend möchten wir zum Fakten-Check bezüglich Verschwörungserzählungen rund um den Ukraine-Krieg auf den Jurist Dr. Michael Hördt verweisen, der acht gängige Verschwörungstheorien diskutiert.
Aber nicht nur eine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern auch Regeln der Gesprächsführung und ein wertschätzender Umgang können helfen, Konflikte zu vermeiden und ein gutes Zusammenleben zu ermöglichen. In der Beratungsstelle ZEBRA bieten wir dazu eine neutrale, kostenlose und bei Wunsch auch anonyme Beratung.
A. V. (Praktikantin bei ZEBRA/BW)