Dass sich Trends via Social Media verbreiten ist erstmal nichts Neues. Immer wieder durchziehen Challenges und Trends wellenartig die jeweils angesagten Plattformen. Einer der neuesten Hashtags, welcher via Tik-Tok viral geht, dreht sich um DARK FEMININE ENERGY.

Dark Feminine Energy  beschäftigt sich, wie es der Name bereits verrät, mit der „dunkler weiblicher Energie“. Das alte Bild der „Femme Fatale“, die ihre weiblichen Reize manipulativ einzusetzen weiß um an ihre Ziele zu gelangen, erlebt ein Revival. Bisweilen genügt jedoch das Bild einer verführerischen, meist schwarz gekleideten Frau nicht, es werden der Dame zusätzlich dämonische, satanische oder anderweitige dunkle Energien zugeschrieben. Dies verwundert nicht, denn wie sagt ein altes Sprichwort „Magie ist Macht!“ Dann, wenn es um Machtspielchen, Manipulation u.ä. geht, sind bisweilen also magische Vorstellungen nicht weit. Insofern passt der Dark Feminine Energy- Trend gut zum Hastag Witchtok. Der Hashtag Witchtok geht seit einigen Jahren bei Tik-Tok viral und bringt reihenweise Teenager dazu, sich mit okkulten Praktiken, kleinen Hexereien, Spiritualität und Esoterik zu beschäftigen. Anbieter machen sich diesen Trend zu nutze, inszenieren sich, ihre Shops und zahlungspflichtige Angebote gekonnt und erschließen damit über ein jugendaffines Medium neue Märkte. Ähnliche Strukturen lassen sich auch beim Hashtag „Dark Feminine Energy“ beobachten.

Hure oder Heilige?

Die meisten User, welche sich mit Dark Feminine Energy beschäftigen gehen von einem- nicht nur sprichwörtlich gemeinten- schwarz-weißen Frauenbild aus. Es gibt Frauen, welche die helle Seite der Weiblichkeit leben und eben Diejenigen, welche eher die dunkle Seite von Weiblichkeit kultivieren. Entweder Hure oder Heilige.

Man glaubte dieses dichotomische Rollenverständnis von Frauen (welches in der Vergangenheit den Frauen häufig von Männern zugeschrieben wurde) längst als antiquiert. Denn weder für Beziehungen, noch für das eigene Selbstverständnis ist es günstig, nur die Rolle des Sexobjektes (Dark feminine Energy) einzunehmen oder nur die Rolle der treuergebenen Gefährtin zu leben. Nun beginnen Frauen selbst diese Rollenzuschreibungen neu zu entdecken. Wenn solche Rollenbilder nicht zu einem „Entweder-Oder“ werden, sondern in einem „Sowohl-als auch“ münden, sorgt diese Entwicklung zunächst möglicherweise dafür, dass manche Frauen auch andere Seiten ihrer Persönlichkeit stärker ausleben und entdecken. Denn wo Schatten ist, da ist auch Licht. Aber gleichzeitig stellen wir auch fest, dass es in den wenigsten Clips um eine Integration verschiedener, wie auch immer gearteten Persönlichkeitsanteile geht, sondern andere Aspekte im Vordergrund stehen.

Auch in anderen Hashtags zeigt sich bei Tik-Tok dieser Trend zu dualistischen und stark vereinfachten Weltbildern: Es gibt schwarz-weiß, high/low -Value Women, Yin- und Yang, männliche vs. weibliche Energie. Fast scheint es, als würde Tik-Tok ein Spiegel der Orientierungslosigkeit einer jungen Generation werden, welche sich eine eindeutige Einteilung, klare Rollenverständnisse und Leitplanken wünscht. Und hier können wir eine Analogie zur Situation auf dem spirituellen Markt ziehen. Auch dort beobachten wir, dass Menschen zunehmend auf der Suche nach Orientierung, Leitplanken und vereinfachten Rollenbildern sind, in einer Welt, in der Geschlechterrollen zunehmend komplexer und vielschichtiger werden. Die neuen Gurus liefern einer säkularen Jugend vereinfachte Frauenbilder, Orientierung und reduzieren Komplexität auf einfache Modelle und Weltbilder.

Beziehungs- und Verführungstipps

Ganz konkret werden unter dem Hashtag „Dark Feminine Energy“ vor allem reichlich Tipps und Tricks zur Manipulation und Verführung von Männern verbreitet. Man rät den Zuhörern, das Objekt der Begierde zu versetzten, warten zu lassen, Desinteresse zu markieren, sich passiv zu verhalten, u.ä.- mit dem Ziel so sein Interesse zu wecken. Auch der Einsatz von Körper, Weiblichkeit und Körpersprache wird immer wieder angeraten. Diese Ratschläge sind teils sehr kritisch einzustufen, da es kaum um ein reifes und erwachsenes Beziehungsverhalten auf Augenhöhe geht, sondern darum, gezielte Machtspielchen einzusetzen. Dies tut weder den betreffenden Männern, noch den Frauen gut. Denn es wird suggeriert, der Wert einer Frau hängt einzig und allein davon ab, wie erfolgreich sie Männer um den Finger wickeln kann. Aus dem oben genannten Ratschlägen können sich toxische Beziehungsmuster entwickeln, welche letztlich keinem der Betreffenden gut tun.

Körpersprache

In Bezug auf Außenwirkung und Auftreten werden immer wieder ähnliche Ratschläge verbreitet, welche sich v.a. mit einer entsprechenden Körpersprache beschäftigen. Frauen wird geraten, ihre Körpersprache so zu nutzen, dass sie eine mysteriöse, selbstbewusste Wirkung erzielen. Beispielsweise soll man Räume selbstbewusst betreten. Wie genau sich jedoch über ein gezieltes Training von Körpersprache Effekte erzielen lassen, wird nicht verraten- es bleibt bei sehr oberflächigen Clips, welche meist mit ähnlichen austauschbaren Bildern verführerischer Frauen in engen Kleidern arbeiten. Dabei ist die Idee, sich bewusst mit Körpersprache und der eigenen Wirkung auseinanderzusetzten grundsätzlich einmal gar nicht so verkehrt- denn hier liegt für viele Menschen Potential. Doch leider behandeln die meisten Clips bei Tik-Tok das Thema sehr eindimensional und oberflächig.

Identifikationsfiguren und Orientierung

Die meisten Clips arbeiten mit Bildern erfolgreicher, schlanker Frauen, oft Stars oder Models. In vielen Clips werden auch genau solche Figuren als Beispiele für Frauen die ihre „Dark Feminine Energy“ leben, benannt. Es geht eindeutig um Außenwirkung, Kleidungs- und Schminktipps werden gegeben. Dass sich mit einer entsprechenden Selbstinszenierung Effekte erzielen lassen, ist sicher richtig, allerdings gleichzeitig etwas eindimensional. Denn es finden sich kaum Hinweise auf andere Aspekte, mit welchen sich ein selbstsicheres Auftreten trainieren lässt. Fast entsteht der Eindruck als benötige es dazu nur die entsprechenden Klamotten und einen Topf voller Farben (am besten übrigens in dunklen Tönen).

Es gibt übrigens auch zahlreiche weitere Clips, welche sich mit andere Frauenrollen und Frauenbildern beschäftigen. Etwa mit der Frage, wie man eine „highvaluewomen“ wird- eine Frau von Welt mit Stil und Klasse. Wem werden solche Ratschläge gegeben? Und wer gibt diese Ratschläge? Grundsätzlich richtet sich die Plattform eher an jüngere User, meist Teenager. Diese sind oft auf der Suche nach der eigenen Rolle, sind unsicher, benötigen Identifikationsfiguren. Wir sehen es als problematisch, wenn sich diese Identifikationsfiguren ausschließlich mit Äußerlichkeiten beschäftigen. Es fehlt ein Bezug zu anderen Werten, fast entsteht der Eindruck, es gehe einzig um Aussehen, Wirkung und Männer. Und dabei wäre es doch so wichtig, jungen Menschen auch andere Werte zu vermitteln und andere Identifikationsfiguren anzubieten.

Kommerzialisierung

Wie auch schon bei Witchtok können wir in dieser Bewegung einen Trend zur Kommerzialisierung beobachten. Einige Anbieter verlinken auf ihre Seiten und bieten den Betreffenden Coaching oder kostenpflichtige Online-Tutorials. Viele dieser psychologisch anmutenden Ratgeber fußen auf sehr vereinfachten, dualistischen Weltbildern von weiblich/männlicher Energie, dunkler/heller Weiblichkeit. Beziehungsproblematiken werden vor diesen vereinfachten Schemata interpretiert. Solch eine Sicht auf Beziehung und Persönlichkeit ist jedoch vor psychologischen Hintergründen etwas monokausal, reduktionistisch und in vielen Fällen auch wenig hilfreich oder sogar gefährlich. Denn wenn vereinfachte Welt- und Menschenbilder propagiert werden, werden meist auch eindimensionale Lösungswege gesucht, Komplexität wird reduziert und Persönlichkeitsentwicklung und Reifung wird dadurch langfristig eher verhindert.

Coaching

Coaches sollten grundsätzlich nicht nur die eigenen Grenzen kennen, sondern auch ein Gespür für die Grenzen ihrer Klienten haben. Manches Angebot, auf das wir bei unserer Recherche zu „Dark Feminine Energy“ gestoßen sind, gehört besser in professionelle Hände, also zu ausgebildeten PsychotherapeutInnen. Gerade auch, wenn es um Taumata geht, was ja auch in manchen Clips unter der Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten und mit dunklen Anteilen der Seele interpretiert wird, ist eine professionelle Begleitung extrem wichtig. Zu einem Coach sollte man nicht aus Not, sondern aus Nutzen gehen. Mehr zu Chancen und Risiken von Coaching erfahrt ihr hier.

Eine Milliarde CLICKs- Warum?

Der Hastag „Dark Feminine Energy“ geht derzeit viral. Mehr als eine Milliarde User haben bereits geklickt, Tendenz steigend. Warum?

  • Komplexitätsreduktion: Zum einen werden vereinfachte, tradierte Rollenbilder vermittelt mit klaren Handlungsempfehlungen. In einer unüberschaubaren, komplexen Zeit mit einer immer verästelteren Auseinandersetzung mit Geschlecht und Rolle, scheint sich in diesem Trend ein Wunsch auszudrücken nach vereinfachten Rollenbildern und Orientierung.
  • Resilienz durch Sinn/Spiritualität: Der Wunsch nach Sinn drückt sich auch in der Tendenz aus, wieder verstärkt an magische Weltbilder zu glauben. In Krisenzeiten fühlen sich viele Menschen ohnmächtig. In scheinbar machtvollen Rollenbildern kann die Welt wieder als verstehbar, handhabbar erlebt werden und es entsteht das Gefühl: Ich kann etwas tun.
  • Self-Care und Wellnessorientierung Teils werden auch ganz harmlose und sinnvolle Ratschläge zum Self-Care verbreitet, im Sinne von: Zieh dich schön an, dann geht es Dir besser, tu Dir was Gutes, nimm ein heißes Bad und kauf Dir ab und zu selbst Blumen. Viele Menschen sind heutzutage auf der Suche nach Strategien um das eigene Wohlbefinden zu erhöhen.
  • Verunsicherung: Schaut man sich die Ratschläge an, dann geht es viel um Sicherheit, ein selbstsicheres Auftreten usw. Dies legt nahe, dass evtl. gerade solche Menschen, die sich unsicher fühlen ein Interesse an entsprechenden Videos haben.
  • Magische Weltbilder: Oft geht es auch um eine Mystifizierung der eigenen Person. Es werden magische Vorstellungen von dunkler Energie aufgegriffen. Ohnmachtsgefühle einer von Krisen gebeutelten Generation kann durch solche Machtvorstellungen entgegengewirkt werden.

Was tun?

Grundsätzlich einmal ist es wichtig, im Einzelfall zu verstehen, weshalb sich Jemand (oder man selbst) mit solchen Videos und Tipps beschäftigt. Welche Bedürfnisse drücken sich darin aus? Ist es der Wunsch nach Orientierung? Geht es um den Wunsch, Beziehungen anders zu gestalten? Handelt es sich um verunsicherte junge Menschen, die auf der Suche nach eigenen Geschlechterrollen sind? Wie stark identifizieren sich Betreffende mit den Figuren? Wie deutlich wird das Verhalten von solchen Clips geprägt? Glücklicherweise entscheiden in den meisten Fällen immer noch reale Freundschaften und Beziehungen über Werte und Normorientierungen und nur wenige junge Menschen legen ihr Schicksal ganz in die Hände der Stars und Vorbilder aus den sozialen Medien. Dennoch sollte auch Vorsicht geboten sein. Denn auf subtile Art und Weise können solche Clips Rollenbilder prägen, Verhalten und Beziehungen ungünstig beeinflussen und den Fokus auf Äußerlichkeiten lenken. Zudem ist auf Filterblaseneffekte zu verweisen. Gerade bei Tik-Tok ist dieser Effekt deutlich zu beobachten. Die wenigsten Menschen entsprechen den Identifikationsfiguren- und so können entsprechende Videos auch dazu beitragen, dass Komplexe und Minderwertigkeitsgefühle verstärkt werden.

Wir sind gespannt, welche Trendwelle als nächstes durch die sozialen Medien rollt. Falls ihr Fragen habt, beispielsweise zu Angeboten und Anbietern auf Tik-Tok, ruft uns an oder schreibt uns eine Mail.

von Sarah Pohl